Bitte beachten Sie den Haftungsausschluss!
Erste Hilfe bei Chemikalienkontakt auf der Haut
Beflissen wird in fast jeder Sicherheitsunterweisung rapportiert:
Mit Gefahrstoffen verunreinigte Kleidungsstücke sind zu entfernen und die betroffenen Körperstellen mit Wasser abzuspülen.
(Quelle: RiSU I-3.14)
Klar! Muss sein! Versteht ja jede(r).
Aber jetzt mal Butter bei die Fische:
- Welche Kleidungsstücke würden Sie selbst - vor der Klasse stehend - ablegen wollen?
- Was glauben Sie, welche Kleidungsstücke Ihre Schüler*innen im Ernstfall freiwillig hergeben würden? Können Sie sich Wiederstände vorstellen und halten Sie die Aussage "Ich sterbe lieber als mich auszuziehen" für bestimmte Schüler*innen / bestimmte Kleidungsstücke für möglich?
Das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange:
- In so einem Fall muss ja nicht nur die Bekleidung abgelegt werden, sondern betroffene Hautpartien müssen anschließend ausgiebig gespült werden.
- Ist die Haut gespült, ist die Bekleidung immer noch unbenutzbar. Wollen Sie Ihre Schüler*innen dann halbbekleidet nach Hause oder zur Ersten Hilfe schicken oder selbst in derart auffälliger Weise aus dem Haus gehen?
Wenn Sie das natürliche Schamgefühl akzeptieren, dann sind zwei Probleme zu lösen.
Diskrete Umgebung
- Wenn das Unfallopfer das Ablegen der Bekleidung vor der Klasse verweigert, bringen Sie es in einen Bereich, der vom Rest der anwesenden Klasse nicht einsehbar ist. Das geht schneller als mit dem Unfallopfer vor der Klasse herumzudiskutieren. Der diskrete Ort könnte zum Beispiel der Vorbereitungsraum sein. Es muss auch nicht immer der Fall eintreten, dass gleich ein halber Liter Salzsäure auf der Bekleidung landet. Bei einem bedrohlichen Klecks auf dem Ärmel kann man das Unfallopfer sicher veranlassen, z.B. bei einem Pulli sofort und also vor der Klasse den Arm aus dem Ärmel zu ziehen. Alles weitere kann dann bedarfsweise im uneinsehbaren Bereich erfolgen.
- Bereiten Sie sich innerlich darauf vor, wie Sie als Lehrer mit einer betroffenen Schülerin oder als Lehrerin mit einem betroffenen Schüler umgehen wollen. Es kann eine Lösung sein, nicht selbst in den Vorbereitungsraum mitzugehen, sondern Freund oder Freundin zu instruieren, dem Unfallopfer beizustehen. Diskutieren Sie die Vorgehensweise mit Ihren Koleg*innen.
Wie wird jetzt gespült?
- Erst muss die Bekleidung runter, dann wird gespült - Nicht umgekehrt! Wenn Sie es anders herum machen, verteilen Sie die Chemikalien schön auf den Textilien und damit ebenso schön auf der Haut! Gelegentlich wird empfohlen, betroffene Kleidungsstücke aufzuschneiden, oder betroffene Bereiche abzuschneiden, damit beim Ablegen der Bekleidung nicht weitere Hautpartien in Kontakt mit der Chemikalie kommen. Das mag logisch gedacht sein, nur wird voraussichtlich viel kostbare Zeit damit vertrödelt, die "Laborschere" hervorzukramen, die dann auf dem Textil vielleicht mehr herumkaut als schneidet, weil sie eigentlich für Gummischläuche gedacht ist. Mein Rat deshalb: Lassen Sie das mit der Schere - schon deshalb, weil Chemikalienkleckse auf Textilien im Schulbetrieb eher weniger dramatisch ausfallen werden.
- Die Wassertemperatur darf angenehm, sollte aber nicht wärmer sein als notwendig: Warme Haut resorbiert Chemikalien besser.
- Schnelligkeit ist wichtig! Eine bewegliche Augendusche ist z.B. auch prima zum Abwaschen betroffener Hautpartien geeignet.
- Gute Erste Hilfe für das Unfallopfer ist wichtiger als die nasse Sauerei auf dem Fußboden. Es ist aber nicht falsch, die Erste Hilfe an einem großen Ausgussbecken durchzuführen und das ablaufende Wasser möglichst ins Becken laufen zu lassen. Noch wichtiger: Das Spülwasser soll von der betroffenen Hautpartie möglichst direkt ablaufen und nicht am Körper bis zu den Schuhen hinunterrinnen.
- Bei nicht wasserlöslichen Stoffen und (noch) unverletzter Haut verwenden Sie Wasser und Seife. Verwenden Sie niemals organische Lösemittel zum Abwaschen, weil diese in die Haut eindringen und dabei den abzuwaschenden Problemstoff lösen und mittransportieren! Wenn Sie es für notwendig erachten, zum Abwaschen wasserunlöslicher Stoffe von der Haut ein besonders effektives Mittel bereithalten zu müssen, verwenden Sie Polyethylenglycol 400, welches Sie dann in hygenisch einwandfreier Form und als Notfallhilfe gekennzeicnet bevorraten müssen. Das "PEG" dringt nicht in die Haut ein. Zur Anwendung wird das PEG mehrmals dünn aufgetragen ("Tempotaschentuch") und nach kurzer Einwirkzeit mit Wasser abgespült.
- Egal womit Sie spülen (lassen): Machen Sie das lange!
- Helfer*innen sollen sich nicht selbst gefährden, indem Sie betroffene Textilstellen selbst anfassen.
Ersatzkleidung
Sie haben alles geschafft: Die betroffene Hautpartien sind gespült, die betroffene Bekleidung ist in einer Tüte gesichert, das Unfallopfer hat sich mit einem sauberen Handtuch abtrocknen können. Jetzt fehlt nur noch - neue saubere Bekleidung!
- Bevorraten Sie in Ihrer Chemikaliensammlung eine Kiste mit Ersatzkleidung. Das können ausrangierte Kleidungsstücke von Ihnen selbst sein oder Sie langen nach den allfälligen Schul-Basaren zu, bei denen versucht wird, in der Turnhalle oder sonstwo vergessene Bekleidungstücke wieder mit ihren Besitzer*innen zu vereinigen. Bevor das Übriggebliebene zur Entsorgung geht, suchen Sie etwas heraus, was möglichst von allen getragen werden kann, also hinsichtlich Gender und Größe unkritisch ist (T-Shirts, Trainngshosen). Sie sollten damit alle in Frage kommenden Körpergrößen - und vielleicht auch kalte und warme Jahreszeiten abdecken können.
- Tun Sie etwas gutes und spendieren Sie den Kleidungsstücken eine private Wäsche vor der Bereitstellung und danach immer mal wieder in regelmäßigen Abständen.
- Wenn Sie so eine Kiste mit Ersatzkleidung bewirtschaften, kann sich eine Situation einstellen, bei der Sie selbst wie auch Ihre Schüler*innen viel entspannter mit kleinen Klecksen von unklarem Gefährdungspotential umgehen. Statt: "Ach was! So schlimm wird es schon nicht sein." kann es jetzt heißen: "Keine Ahnung! Sicherheitshalber wechsle ich lieber mal den Pulli."
Unterweisung
Integrieren Sie die Vorgehensweise in Ihre Unterweisungen! Wenn es bei "chemikalienbehaftete Bekleidung muss ausgezogen werden" bleibt, bleibt auch ein Verständnisvakuum bei Ihren Schüler*innen. Wenn Sie ein: "Wer will, kann das auch in dem Raum hinter dieser Tür da machen" hinzufügen, haben Sie schon viel zur Beruhigung der Schüler*innen getan. Und wenn Sie noch ein: "Für den äußersten Notfall habe ich sogar Ersatzkleidung für Euch. Bislang wurde die aber noch nicht (oder nur in folgendem Fall) benötigt." hinterherschieben, dann merken alle, dass hier nicht nur Geleier von oben nach unten durchgereicht wird, sondern dass für alle Unbillen gesorgt ist.